
Talent
Viertel: Au
Lieblingsort: Lenbachhaus und Pinakothek der Moderne
Beruf: ehem. Stenographin und Hausfrau
“Vor zwei Jahren bin ich gestürzt und hatte einen zweifachen Beckenbruch. Danach bin ich ins nahe Wohnstift gegangen, und hoffte, dass ich sterben darf. Und jetzt geht’s nicht. Ich hab einfach kein Talent zum Sterben.
Und so sitze ich hier und bin mit meinem Leben zufrieden. Ich mach noch einiges selber. Raus mag ich nicht mehr. Mein Körper ist beleidigt mit mir. Aber der Kopf ist gut und der Schnabel auch. Ich schau gern den alten Damen durch mein Fenster zu, wie sie bei uns im Garten mit ihrem Rollator lustwandeln. Das entschleunigt mich. Und ich bin dankbar, dass ich noch Zentner-Bücher lesen kann. Dann sitze ich hier und bin glücklich.
An meine Kindheit denke ich sehr gerne zurück: Ich bin im Luftschiffbau-Gelände Zeppelin geboren worden und bin zwischen den Luftschiffen und den Gaskesseln aufgewachsen. Ich war bei jeder Landung und bei jedem Aufstieg von Graf Zeppelin und Hindenburg dabei und durfte Kapitän Lehmann und Dr. Eckener das große Tor aufmachen. Es war einfach eine starke Kindheit. Später hab ich dann nach München geheiratet.
Mein Mann war Arzt und hatte eine kleine Praxis. In der ganzen Au waren lauter Grundstücke mit Bombenlöchern und so hab ich mir eines Tages in den Kopf gesetzt, dass wir ein Haus bauen. Wir haben einen Kredit bekommen, eines dieser Löcher gekauft, darauf ein Haus gebaut und dann abbezahlt. Das war eine starke Zeit, die Nachkriegszeit. Eine Pionierzeit. So hinterlasse ich meinen Kindern jetzt kein Geld, aber ein Haus.
Heute sind meine vier Kinder alle weißhäuptig. Zwei Mädchen, zwei Buben. Ich hätt` auch noch mehr mögen, denn ich war gern schwanger, hab gern entbunden und alles was damit zusammenhing. Ich war sehr gerne Mutter und Hausfrau. Herrlich war das.
Ich war lustig und temperamentvoll, hab auch geraucht und gedudelt. Vor allem aber war ich eine Grüne: ich hab die Berge und die Natur geliebt, bin viele und auch große Bergtouren gegangen und bin so auch lange jung geblieben.
Natürlich hab ich auch große Fehler gemacht in meinem Leben und einiges mache ich mir auch heute noch zum Vorwurf. Aber ich sitze jetzt nicht hier und lasse alles hängen. Einen Wunsch hätte ich: Mit meinen Erfahrungen noch mal durchs Leben gehen. Das wäre schön. Ich würde vieles anders machen. Man wird schon g’scheider.”