Die Buam

Matze

“Ich weiss nicht, woher das kommt, dass die einen noch nie Europa verlassen haben und deutlich weltoffener sind, als andere, die schon die ganze Welt bereist haben. Ich selber komme aus einem konservativen Elternhaus mitten in Bayern und meine Eltern stehen voll und ganz hinter mir, bei allem, was ich die ganzen letzten Jahre für die Jungs gemacht habe. Aber für mich war es eine Selbstverständlichkeit. ein Gefühl, dass man da jetzt nicht einfach zukucken darf. Ich habe die Situation gesehen und einfach reagiert.

Dazu braucht man keine große Bühne. Wenn jeder statt zu demonstrieren, einfach anpacken würde, hätte jeder Flüchtling einen Paten.

Am Besten kann ich mich noch an die Bürgerversammlung erinnern. Die Leute haben von ihren Ängsten und Bedenken gesprochen. Und ich saß einfach nur drin und hab mir gedacht, dass da einfach komplett was falsch läuft. Und da bin ich zum ersten Mal aufgestanden und hab gesagt: “Hier drin sitzen ungefähr 500 Leute. Wir sind teils zusammen in den Kindergarten gegangen, kennen unsere Familiengeschichten, wir sind vernetzt und kennen uns alle seit Generationen. Und da draußen sind 15 Afrikaner, die teilweise ihr halbes Leben auf der Flucht waren, schreckliche Dinge erlebt haben und die furchtbare Angst haben. Die haben Angst. Wir sollten keine haben.” Ergebnis war, dass ich Integrationsbeauftragter wurde und inzwischen alle 15 Jungs bei uns ein ganz normales Leben leben – ganz einfach integriert sind in unser Leben. Sie sind es auch nicht mehr “die Flüchtlinge”. Inzwischen sind’s nur noch “die Buam”. Die Leute sind für dieses Detail “blind” geworden. Ich sag immer: wenn wir alle ein bisschen blinder wären, wäre einiges viel einfacher.

In den letzten Jahren habe ich Dinge erlebt – ich könnt ein Buch drüber schreiben: wie wir durch Nacht und Nebel-Aktionen ein verheiratetes Paar wieder zusammengeführt haben, die sich sonst wahrscheinlich nie wieder gefunden hätten. Von Leuten, die mich selber für einen Ausländer gehalten haben und dann mich und meine afrikanischen Freunde blöd im Supermarkt angeredet haben. Jetzt seh ich selber nicht wie der Ur-Bayer aus – auch wenn ich es bin – das ist mir schon klar. Aber ich hätte schon einen afghanischen Asylantrag bewilligt bekommen, bis ich dann klargestellt habe, dass ich selber nicht der Flüchtling, sondern der Betetreuer bin – und dass nur weil ich den schriftlichen Antrag in der Hand hatte. Einer der Jungs, dem ich geholfen habe, einen neuen Pass zu bekommen, hat mir noch kurz vor dem Amt den Ausweis gezeigt und als wir genauer hingekuckt haben, hat sich herausgestellt, dass sie ihm einen komplett falschen Ausweis gegeben haben: das Bild war einfach auf einen Ausweis mit falschen Namen geklebt worden. Genauso mit den Nationalitäten: Als wir einmal einen Antrag ausgefüllt haben, waren die Jungs auf einmal auf dem Papier nicht mehr aus Eritrea, sondern aus Somalia. Und die Erklärung war: “Mei, da muss ich wohl in der Zeile verrutscht sein.”, weil in der Liste der Länder Somalia nach Eritrea kommt. Nur dass das Asylverfahren für Somalia ein komplett anderes ist als für Eritrea.
Ich könnte Stories erzählen. Der Wahnsinn.

Aber inzwischen sind die Jungs selbständig. Einer von ihnen ist bei mir als Azubi und ich bin immer wieder erstaunt, wie die Leute reagieren: bei den Leuten, bei denen ich dachte, es wäre kein Problem, hatten auf einmal “Sorgen”, wenn wir gemeinsam einen Auftrag angenommen haben und bei einigen, bei denen ich schon die Befürchtung hatte, es könnte Schwierigkeiten geben, die fanden es total klasse und haben es total begrüßt.

Tja, so lernt man die Menschen wirklich kennen.”

Matthias kenne ich schon sehr lange eigentlich und bin ihm heute zufällig auf dem Kocherlball begegnet. Ich wusste schon länger, dass er sich für ein paar Flüchtlinge in seinem Dorf stark gemacht hat und einigen sehr geholfen hat, dass sie hier bleiben dürfen. Um so mehr hat es mich heute morgen sehr gefreut, ihn mal tatsächlich auch “vor die Linse” zu bekommen. Ich hoffe, dass wir das Gespräch irgendwann mal fortsetzen können. Danke, dass es so Menschen gibt!

Wer ihn noch ein bisschen mehr kennenlernen möchte, kann auch ein noch längeres Porträt online ansehen: In Bayern dahoam, in der Welt zu Hause.

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