Traumberuf (3/3)

„ Unser Job ist oft nicht einfach Wir kriegen schon einige Geschichten mit, die einem auch mal ganz schön ans Herz gehen. Oft wirklich traurige Geschichten. Vieles kannte man vorher vielleicht schon aus den Erzählungen von Kollegen oder aus dem Fernsehen. Aber wenn man dann das erste Mal jemanden am Schreibtisch sitzen hat, der eigentlich nur Hilfe braucht beim Ausfüllen eines Antrags und dann mal nebenher anfängt zu erzählen, wie er ganz alleine mit 13 Jahren aus Afghanistan nach Deutschland gekommen ist, dann geht einem das doch immer wieder nahe.
Oder Inobhutnahmen, weil die Kinder – aus welchen Gründen auch immer – nicht mehr zu Hause bleiben können. Letztes Jahr hatten wir dazu auch einen ganz, ganz schlimmen Fall mit häuslicher Gewalt, der auch vor Gericht gekommen ist und in der Presse war. Das hat uns alle wirklich ganz schön mitgenommen, weil es so dramatisch war. Vor allem hat es uns aber die Ernsthaftigkeit der Lage mal wieder vor Augen geführt.

Es ist oft unglaublich was die Kinder aushalten müssen.

Was ich vor allem gelernt habe ist, wie schlimm es ist, wenn Kinder entwurzelt werden – zum Beispiel weil sie alleine auf die Flucht als 12jähriger in den 3 Monaten Flucht quasi erwachsen werden müssen und hier aber dann wieder Kind sein sollen. Die Verantwortung und die ganze Hoffnung einer ganzen Familie liegt dann auf dem Kind.
Oder Kinder, die eigentlich gar nicht hierher wollten, weil in ihren Augen alles gar nicht so schlimm ist, wo sie her kamen. Sie vermissen ihre Freunde und finden es doof, dass sie jetzt in einer Stadt leben sollen. Vorher haben sie vollkommen frei auf dem Dorfplatz oder in den Straßen immer mit den Freunden gespielt. Und hier sind keine Kinder auf der Straße und sie müssen in die Schule. Aber ihre Eltern haben entschieden, dass sie hier ein besseres Leben haben. Die Eltern glauben sicher, dass sie den Kindern was Gutes tun: sie bauen hier alles für die Kinder auf und sollen es hier gut haben. Aber den Kindern ist es vielleicht egal, weil es so schön zu Hause gewesen ist, frei und unabhängig zu sein. Wohnverhältnisse waren bei manchen besser als hier in München. Die tun sich oft sehr schwer mit dem Ankommen, weil sie hier einfach auch nicht ankommen wollen: sie wollen die Sprache nicht lernen, stellen sich quer und wollen sich vielleicht auch einfach nicht anpassen. Da gibt es natürlich auch auf einmal Konflikte zwischen Eltern und Kindern und es ist eben auch meine Arbeit, ein Verständnis bei den Eltern zu schaffen und das Heimweh erträglich zu machen.

Die Kinder haben oft schon einen so großen Rucksack an mit ihren Geschichten und da braucht man sich eigentlich auch nicht wundern, dass das es schwierig wird. Bei dem einen ist der Rucksack auch mal zu groß und voll und du siehst schon genau, wo die Karriere hingeht.

Manchmal werde ich auch wirklich wütend, wenn man mit Eltern in unzähligen Gesprächen Dinge bespricht und vereinbart und sie dann doch einfach wieder nicht umgesetzt werden. Oft verstehe ich die Eltern nicht, die zu streng oder ungerecht bestrafen. Manchmal ist das fast schon Psychoterror. Der gesunde Mittelweg fehlt wie so oft. Da ist es kein Wunder, dass uns dann in der Schule die Kinder ausflippen.

Oft denke ich mir, am liebsten würde ich manche Kids mal für zwei Wochen mitnehmen und ihnen ganz normale Nestwärme geben: jeden Tag eine Pausenbox voller Brotzeit für die Schule, zuhören, gemeinsam was unternehmen und sie aus ihrem Stadtteil mal rausholen. Mir ist völlig klar, dass das auch nicht gut wäre, es auch die Probleme nicht lösen oder vielleicht sogar schlimmer machen würde. Aber so fühl ich mich manchmal.

Trotz alle dem ist aber eben dieses Versöhnliche. Da klopft es auf einmal an Deiner Büro-Tür und dann stehen Schüler da und fragen einfach nur: „Dürfen wir bei Ihnen bleiben? Wir wollten nur ein bisschen ratschen.“ Oder sie wollen einfach nur ein Stück Schokolade haben. Wenn man einfach weiss, man ist eine Anlaufstelle für sie ist und sie ein Stück begleiten darf – das ist einfach großartig. Einmal kam eine Schülerin sogar zu mir und meinte: „Sie wissen schon, dass sie sowas wie mein Tagebuch sind!?“

Ein totales Highlight ist jedes Jahr die Abschlussfeier. Da kommen sie dir auf dem Pausenhof komplett aufgebrezelt entgegen und wollen sich unbedingt von dir noch verabschieden. Mit einem Schüler steh ich auf der Feier immer im Arm und wir müssen beide weinen. Irgendwie wissen wir dann beide: „Ja, ich bin nicht Deine beste Freundin, aber ich hab Dir doch was gegeben und hab Dich so gut an die Hand genommen, dass ich dich ein Stück begleiten konnte.“ Oder sie kommen und erkennen, dass sie sich in der 5. oder 6. Klasse ganz schön aufgeführt haben und entschuldigen sich dafür. Solche Momente hast du natürlich nicht mit allen, aber das ist dann einfach so mega cool. Das versöhnt dann immer wieder alles nervige, alles bürokratische, jeden Gedanken, wie unfair diese Welt manchmal ist und wie vieles so viel einfacher sein könnte. Und das ist einfach schön: einen Jugendlichen zu „knacken“ und für ihn da zu sein. Deshalb ist es mein Traumjob.“

Traumberuf (2/3)

„Ich weiss, dass ich für diesen Job gemacht bin und habe total meins gefunden. Aber es macht natürlich auch viel diese ganz besondere Schule aus: sie trägt einen mit, lässt uns machen und nimmt uns ernst. Sie meldet uns jeden Tag zurück, wie toll das ist, was wir machen: egal ob es Lehrer sind oder die Schulleitung. Das ist wirklich toll und einzigartig.

Oft höre ich, dass an anderen Stellen die Rektoren gegen arbeiten oder das Kollegium dich nicht für voll nimmt, weil du ja „nur“ Sozialpädagoge bist. Bei uns ist es genau das Gegenteil.

In der Simmernstraße ist es wie eine Familie und die Warmherzigkeit ist wirklich was besonderes. Natürlich versteht man sich nicht mit allen immer gleich gut, aber man schaut aufeinander und die Schulleitung schaut darauf, dass wir untereinander gut auskommen: sowohl in der Arbeit als auch privat. Die Rektorin schaut vor allem auch darauf, dass trotz aller Wechsel eine gewisse Beständigkeit besteht. Auch externe werden wie ein Teil des Teams behandelt. Es sind alle immer herzlich willkommen.

Ich fühle mich der Schule sehr verbunden und darüber bin ich mir sehr bewusst. Ich empfinde es – nach meinem eigenen Kind natürlich – als das größte Geschenk. Sicher auch, weil ich weiss, wie sehr sich andere über den Job beschweren. Natürlich bin ich auch mal gestresst, um Familie und den Job unter einen Hut zu bekommen, aber ich gehe jeden Tag gerne zur Arbeit. Ich freue mich schon in den Sommerferien auf den ersten Montag mit der ersten Konferenz. Es ist auch für mich immer wieder wie der erste Schultag.

Ich kann mich noch gut erinnern, als ich an meinem ersten Tag ins Sekretariat gekommen bin: die Direktorin stand wirklich buchstäblich mit offenen Armen da und meinte: „Endlich sind sie da, und endlich sind wir komplett.“ Wo hat man denn sowas noch?“

Traumberuf (1/3)

„Ich bin Sozialpädagogin und arbeite in der Jugendsozialarbeit an der Mittelschule Simmernstraße in München in Trägerschaft des KINDERSCHUTZ MÜNCHEN und es ist mein absoluter Traumberuf. Ich habe soziale Arbeit studiert und war vorher in einem Kinderheim und in einem Kindergarten tätig. Mit Jugendlichen wollte ich eigentlich nie was zu tun haben. Ich fand Jugendliche grauenvoll: die pubertieren und das fand ich furchtbar. Im Nachhinein kann ich sagen, dass es super cool ist mit Jugendlichen zu arbeiten, auch wenn es schwieriger ist als mit kleinen Kindern. Die Kleinen klettern viel schneller mal auf deinen Schoss, bitten dich etwas vorzulesen und haben dich dann ganz schnell lieb, einfach nur weil du die Erzieherin bist. Die Kids ab der 5. Klasse haben ganz andere Sorgen und Nöte und checken dich natürlich viel stärker aus. Aber wenn man dann mal das Vertrauen von einem Jugendlichen gewonnen hat, dann ist das einfach großartig. Es ist einfach toll, sie zu begleiten.

Unsere Arbeit hat mehrere Schwerpunkte. Offiziell sind wir eine „Filiale des Jugendsamts“. Das verwende ich allerdings nicht gerne, weil das sehr negativ behaftet ist. Wir sind „einfach“ für die Kinder und Jugendlichen da und sind Anlaufstelle für alles, was sie brauchen. Wir hören uns den ersten Liebeskummer genauso an, wie wir uns um banale Sachen kümmern wie, z.B. einen Sportverein zu finden, obwohl dafür kein Geld da ist. Wir organisieren Nachhilfe oder unterstützen Kinder, die uns die Lehrer schicken. Aber vor allem sind wir da, wenn es zu Hause nicht rund läuft auf Grund von Vernachlässigung, Überforderung, psychische Krankheit von Eltern etc. oder Schülerinnen in irgendeiner Art Krise stecken. Wir arbeiten dann in Einzelstunden mit den Schülerinnen und in enger Kooperation mit den Eltern, Lehrer*innen und anderen Helfern.

Wir haben ziemlich viele Verhaltensauffällige oder besser gesagt massiv verhaltensauffällige Kinder, die auch mal den ganzen Unterricht sprengen – gerade in der 5. oder 6. Klasse. Entweder holen wir sie dann aus dem Unterricht komplett raus oder bleiben einfach dabei. Schöner wäre es, wenn wir noch viel, viel mehr dabei sein könnten. Optimal wäre es, wenn in jeder Klasse jemand von uns sitzen könnte. Aber dafür sind wir zu wenig: wir betreuten zu zweit 15 Klassen, insgesamt knapp 290 Schüler mit einem Migrationsanteil von fast 90%. Auch wenn wir schon sehr kleine Klassen haben, ist es oft nicht zu bewältigen: der eine kommt nicht mit, weil er Legasthenie hat und Testungen ausstehen und der andere haut um sich, weil er seine Wut nicht unter Kontrolle bekommt. Jeder braucht unsere Hilfe und wenn ich mal wieder in einer Klasse dabei war, hab ich wieder ein paar Einzelfälle mehr, die ich betreue.

Ein weiterer Teil unserer Arbeit sind Projekte: Klassengemeinschaft, Konfliktlösungen, Mobbing, Umgang mit Medien und ein wertschätzender Umgang miteinader. Aber auch erlebnispädagogische Projekte, wie zum Beispiel Flossbauen mit den 5. Klassen, um das Miteinander zu stärken. Diese Projekte sind richtig toll, weil man da die Kinder auch mal ganz anders kennenlernt und einen ganz anderen Draht zu ihnen bekommt. Oder wir begleiten Lehrer bei ihren Ausflügen, weil vielleicht ein paar „Kracher“ mit dabei sind, und das alleine nicht machbar ist.

Und natürlich ist auch viel Elternarbeit dabei. Wir beraten die Eltern in Fragen, bei denen sie selber nicht weiterkommen oder eben einfach Unterstützung brauchen. Zunächst mal schauen wir, was wir selber mit den Eltern lösen können in Gesprächen und mit praktischen Tipps oder der Anbindung an eine Erziehungsberatungsstelle oder andere Hilfen der Jugendhilfe. Das wird dann besonders spannend und schön, wenn wir eine Kindeswohlgefährdungsmeldung ans Jugendamt abwenden können. Das bedeutet, dass ich in einigen Fällen erst mal keine Meldung mache muss, sondern Eltern überzeuge sich Hilfe im Sozialbürgerhaus/Jugendamt zu suchen bevor Situationen eskalieren und dann eine Meldung gemacht werden muss oder eben mit uns kooperieren. Denn das Kindeswohl steht über allem. Wir können leider nicht alle unsere Klienten zu allen Amtsterminen begleiten, weil uns dafür die Kapazität fehlt, aber wo es geht machen wir es, da wir oft die Stelle sind wo Probleme das erste Mal ausgesprochen werden. Wir sind ein sehr niedrigschwelliges Angebot und dann häufig Vertrauenspersonen. Ämter sind immer eine Hürde; Die Mitarbeiter*innen dort haben sehr viel zu tun und arbeiten unter anderen Bedingungen. Ich verstehe deren Situation auch echt gut, denn ich hab auch mal in einem Amt hospitiert und weiss, wie stark unterbesetzt sie dort zum Teil sind. Aber oft fehlt mir einfach das Feingefühl und die Geduld. Ich will niemandem an den Karren fahren, weil ich mir denken kann, wie anstrengend das ist, aber wenn ich weiss, dass jemand recht schnell ausflippt, dann muss ich halt vielleicht anders kommunizieren. Und dafür sind wir dann eben manchmal da und können vermitteln.“

Curious

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“Auf was freust du dich am meisten in der Schule?”

“Ich möchte Lesen, Schreiben und Rechnen lernen.”

“Und auf was freuen Sie sich am meisten?”

“Auf die vielen tollen Dinge, die sie mir dann von der Schule erzählt. Ich bin gespannt, man was für Erlebenissen und Gedanken sie dann nach Hause kommt.”


“What are you expecting from school?”

“I want to learn how to write, read and do maths.”

“And what are you expecting from school?”

“I am curious about all the new things she will tell us about. I am looking forward to all the new experiences and thoughts she will bring home from school.”

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