Frei sein

“Ich bin gerade an einem krassen Entwicklungspunkt in meinem Leben. Das ist total spannend und macht auch voll viel Spaß, aber es ist auch total stressig, weil es ständig so ein auf und ab ist.

Was mich gerade am krassesten beschäftigt ist die Freiheit. Ich habe eigentlich erst vor kurzem gelernt, dass ich ein freier Mensch bin. Das hab ich natürlich vorher schon gewusst, aber ich habe nie so gelebt. Aber jetzt merke ich: Ich habe das gelernt und verstanden und jetzt sickert es auch in meinen Alltag ein. Weil es so normal für mich geworden ist, dass ich ganz frei bin und in jedem Moment entscheiden kann, was ich will und es auch laut sagen kann. Jetzt habe ich das Gefühl, dass ich in der Arbeit, in meiner Beziehung, mit meinen Freunden und überall einen Standard entwickelt habe – sodass ich nie das Gefühl habe, Sachen nicht aussprechen zu können. Das ist echt total befreiend.”

Hast Du Dich denn ganz bewusst entschieden, dass Du jetzt frei bist und alles machen darfst? Oder wie kann ich mir das vorstellen?

Ja schon, so ein bisschen. Von der Logik ist das ganz klassisch: Ich leb` halt nur für mich. Das heisst natürlich nicht, dass mir alles andere egal ist, aber es bedeutet, dass man erst mal bei sich selber anfangen muss und die Grundimpulse von sich selbst kommen sollten und nicht von anderen. Ich habe jetzt erst gecheckt, wie sehr ich mich ganz lange nach den Werten anderer ausgerichtet habe. Als ich das gemerkt habe, war das ziemlich krass für mich.

Was bedeutet das ganz konkret für Dich im Alltag?

“Ich spreche die Dinge an, wenn mich Dinge stören, oder wenn ich merke, dass Dinge so laufen, wie ich es eigentlich nicht haben will, und ich würde das nur jetzt so mit machen, um die Harmonie zu wahren und um alles ruhig zu halten und alles schön zu haben. Das können so einfache Dinge sein wie, da hat jetzt jemand mein Handy in der Hand und ich will das aber eigentlich gar nicht. Ich sage dann einfach, dass ich das nicht will oder diskutiere so lange weiter, bis man einen Kompromiss findet. Genauso auch in meinen zwischenmenschlichen Beziehungen. Wenn ich merke, es geht mir nicht gut, ich stör mich an irgendwas, dann spreche ich das eben an und sage: “Das stört mich, damit komme ich nicht klar, das macht folgendes mit mir, und ich würde gerne dafür irgendeine andere Lösung mit dir finden, wie wir das machen können, aber so kann es für mich nicht funktionieren.” Und ich lasse mich auch nicht mehr so easy abservieren mit so Ausreden wie “Ich bin jetzt müde” oder “Ich hab gerade keine Zeit”. Das will ich auch noch im beruflichen Kontext lernen. Einfach auf Sachen beharren, bis man es so hat, wie man es will – im besten Fall. Das soll natürlich keine Diktatur sein, sondern so, wie es dann irgendwie für alle ok ist.Den letzten Sommer habe ich dann noch mal voll damit experimentiert. Ich war so neugierig: Ich will lernen, wie man selbstbewusst ist. Ich will lernen, wie man Leute anspricht, die man cool findet. Ein ganz gutes Beispiel ist wohl, wie ich meinen jetzigen Freund kennengelernt habe: Ich hab ihn einfach angesprochen und ihn nach seiner Nummer gefragt, weil er interessant aussah. Ich will nicht immer in der passiven Position sein und “da sitzen und schön sein und warten”, bis mich jemand anspricht. Dann kann ich ja erst ja oder nein sagen. Wie beschränkt ist denn dann meine Auswahl? Super beschränkt!

Aber wenn ich rausgehe und mich frage, was ich will, dann kann ich damit experimentieren und wirklich herausfinden, was ich denn eigentlich wirklich will. Das klingt jetzt voll technisch, aber mir gefällt nicht, dass Frauen oft in so passiven Rollen sind. Ich finde, das ist durch nichts gerechtfertigt: nicht durch Geschlecht oder Tradition. Ich sehe nicht, warum ich mich einschränken sollte, wenn das andere auch nicht müssen.

Und natürlich hört meine Freiheit dort auf, wo die der anderen anfängt. Das klingt sonst so schnell so, als würde ich jetzt auf alle anderen scheissen, aber das ist ja nicht Sinn der Sache. Es geht darum, dass alle die gleichen Rechte haben und das jeder kuckt, dass jeder frei ist und dabei die Freiheit anderer würdigt. Rausgehen und das ausprobieren gehört für mich dazu. Und natürlich gibt es gute und schlechte Tag. Aber ich mach das jetzt einfach mal.”

Einsame Insel

“Mittlerweile ecke ich mit diesem System, das wir momentan in Deutshland oder in der westlichen Welt haben – immer mehr an. Ich stimmer immer weniger mit den Regeln und Gesetzen überein und rege mich immer mehr darüber auf. Es muss sich etwas ändern. Ich hab ich das Gefühl, dass sich was verändert.
Mich selber drängt es aber immer mehr danach aus diesem System auszubrechen. Auch im Sinne von: wirklich diesen Ort zu verlassen und irgendwohin zu gehen, wo es anders ist und wo man freier ist. Tatsächlich denke ich immer öfter darüber nach einfach auszuwandern – auf eine einsame Insel irgendwo, weit weg von allem und dann ein freies, unweltbewusstes Leben zu führen. Den Ort gibt es noch nicht, aber ich werde ihn finden.”

Traumberuf (3/3)

„ Unser Job ist oft nicht einfach Wir kriegen schon einige Geschichten mit, die einem auch mal ganz schön ans Herz gehen. Oft wirklich traurige Geschichten. Vieles kannte man vorher vielleicht schon aus den Erzählungen von Kollegen oder aus dem Fernsehen. Aber wenn man dann das erste Mal jemanden am Schreibtisch sitzen hat, der eigentlich nur Hilfe braucht beim Ausfüllen eines Antrags und dann mal nebenher anfängt zu erzählen, wie er ganz alleine mit 13 Jahren aus Afghanistan nach Deutschland gekommen ist, dann geht einem das doch immer wieder nahe.
Oder Inobhutnahmen, weil die Kinder – aus welchen Gründen auch immer – nicht mehr zu Hause bleiben können. Letztes Jahr hatten wir dazu auch einen ganz, ganz schlimmen Fall mit häuslicher Gewalt, der auch vor Gericht gekommen ist und in der Presse war. Das hat uns alle wirklich ganz schön mitgenommen, weil es so dramatisch war. Vor allem hat es uns aber die Ernsthaftigkeit der Lage mal wieder vor Augen geführt.

Es ist oft unglaublich was die Kinder aushalten müssen.

Was ich vor allem gelernt habe ist, wie schlimm es ist, wenn Kinder entwurzelt werden – zum Beispiel weil sie alleine auf die Flucht als 12jähriger in den 3 Monaten Flucht quasi erwachsen werden müssen und hier aber dann wieder Kind sein sollen. Die Verantwortung und die ganze Hoffnung einer ganzen Familie liegt dann auf dem Kind.
Oder Kinder, die eigentlich gar nicht hierher wollten, weil in ihren Augen alles gar nicht so schlimm ist, wo sie her kamen. Sie vermissen ihre Freunde und finden es doof, dass sie jetzt in einer Stadt leben sollen. Vorher haben sie vollkommen frei auf dem Dorfplatz oder in den Straßen immer mit den Freunden gespielt. Und hier sind keine Kinder auf der Straße und sie müssen in die Schule. Aber ihre Eltern haben entschieden, dass sie hier ein besseres Leben haben. Die Eltern glauben sicher, dass sie den Kindern was Gutes tun: sie bauen hier alles für die Kinder auf und sollen es hier gut haben. Aber den Kindern ist es vielleicht egal, weil es so schön zu Hause gewesen ist, frei und unabhängig zu sein. Wohnverhältnisse waren bei manchen besser als hier in München. Die tun sich oft sehr schwer mit dem Ankommen, weil sie hier einfach auch nicht ankommen wollen: sie wollen die Sprache nicht lernen, stellen sich quer und wollen sich vielleicht auch einfach nicht anpassen. Da gibt es natürlich auch auf einmal Konflikte zwischen Eltern und Kindern und es ist eben auch meine Arbeit, ein Verständnis bei den Eltern zu schaffen und das Heimweh erträglich zu machen.

Die Kinder haben oft schon einen so großen Rucksack an mit ihren Geschichten und da braucht man sich eigentlich auch nicht wundern, dass das es schwierig wird. Bei dem einen ist der Rucksack auch mal zu groß und voll und du siehst schon genau, wo die Karriere hingeht.

Manchmal werde ich auch wirklich wütend, wenn man mit Eltern in unzähligen Gesprächen Dinge bespricht und vereinbart und sie dann doch einfach wieder nicht umgesetzt werden. Oft verstehe ich die Eltern nicht, die zu streng oder ungerecht bestrafen. Manchmal ist das fast schon Psychoterror. Der gesunde Mittelweg fehlt wie so oft. Da ist es kein Wunder, dass uns dann in der Schule die Kinder ausflippen.

Oft denke ich mir, am liebsten würde ich manche Kids mal für zwei Wochen mitnehmen und ihnen ganz normale Nestwärme geben: jeden Tag eine Pausenbox voller Brotzeit für die Schule, zuhören, gemeinsam was unternehmen und sie aus ihrem Stadtteil mal rausholen. Mir ist völlig klar, dass das auch nicht gut wäre, es auch die Probleme nicht lösen oder vielleicht sogar schlimmer machen würde. Aber so fühl ich mich manchmal.

Trotz alle dem ist aber eben dieses Versöhnliche. Da klopft es auf einmal an Deiner Büro-Tür und dann stehen Schüler da und fragen einfach nur: „Dürfen wir bei Ihnen bleiben? Wir wollten nur ein bisschen ratschen.“ Oder sie wollen einfach nur ein Stück Schokolade haben. Wenn man einfach weiss, man ist eine Anlaufstelle für sie ist und sie ein Stück begleiten darf – das ist einfach großartig. Einmal kam eine Schülerin sogar zu mir und meinte: „Sie wissen schon, dass sie sowas wie mein Tagebuch sind!?“

Ein totales Highlight ist jedes Jahr die Abschlussfeier. Da kommen sie dir auf dem Pausenhof komplett aufgebrezelt entgegen und wollen sich unbedingt von dir noch verabschieden. Mit einem Schüler steh ich auf der Feier immer im Arm und wir müssen beide weinen. Irgendwie wissen wir dann beide: „Ja, ich bin nicht Deine beste Freundin, aber ich hab Dir doch was gegeben und hab Dich so gut an die Hand genommen, dass ich dich ein Stück begleiten konnte.“ Oder sie kommen und erkennen, dass sie sich in der 5. oder 6. Klasse ganz schön aufgeführt haben und entschuldigen sich dafür. Solche Momente hast du natürlich nicht mit allen, aber das ist dann einfach so mega cool. Das versöhnt dann immer wieder alles nervige, alles bürokratische, jeden Gedanken, wie unfair diese Welt manchmal ist und wie vieles so viel einfacher sein könnte. Und das ist einfach schön: einen Jugendlichen zu „knacken“ und für ihn da zu sein. Deshalb ist es mein Traumjob.“

Traumberuf (2/3)

„Ich weiss, dass ich für diesen Job gemacht bin und habe total meins gefunden. Aber es macht natürlich auch viel diese ganz besondere Schule aus: sie trägt einen mit, lässt uns machen und nimmt uns ernst. Sie meldet uns jeden Tag zurück, wie toll das ist, was wir machen: egal ob es Lehrer sind oder die Schulleitung. Das ist wirklich toll und einzigartig.

Oft höre ich, dass an anderen Stellen die Rektoren gegen arbeiten oder das Kollegium dich nicht für voll nimmt, weil du ja „nur“ Sozialpädagoge bist. Bei uns ist es genau das Gegenteil.

In der Simmernstraße ist es wie eine Familie und die Warmherzigkeit ist wirklich was besonderes. Natürlich versteht man sich nicht mit allen immer gleich gut, aber man schaut aufeinander und die Schulleitung schaut darauf, dass wir untereinander gut auskommen: sowohl in der Arbeit als auch privat. Die Rektorin schaut vor allem auch darauf, dass trotz aller Wechsel eine gewisse Beständigkeit besteht. Auch externe werden wie ein Teil des Teams behandelt. Es sind alle immer herzlich willkommen.

Ich fühle mich der Schule sehr verbunden und darüber bin ich mir sehr bewusst. Ich empfinde es – nach meinem eigenen Kind natürlich – als das größte Geschenk. Sicher auch, weil ich weiss, wie sehr sich andere über den Job beschweren. Natürlich bin ich auch mal gestresst, um Familie und den Job unter einen Hut zu bekommen, aber ich gehe jeden Tag gerne zur Arbeit. Ich freue mich schon in den Sommerferien auf den ersten Montag mit der ersten Konferenz. Es ist auch für mich immer wieder wie der erste Schultag.

Ich kann mich noch gut erinnern, als ich an meinem ersten Tag ins Sekretariat gekommen bin: die Direktorin stand wirklich buchstäblich mit offenen Armen da und meinte: „Endlich sind sie da, und endlich sind wir komplett.“ Wo hat man denn sowas noch?“

Traumberuf (1/3)

„Ich bin Sozialpädagogin und arbeite in der Jugendsozialarbeit an der Mittelschule Simmernstraße in München in Trägerschaft des KINDERSCHUTZ MÜNCHEN und es ist mein absoluter Traumberuf. Ich habe soziale Arbeit studiert und war vorher in einem Kinderheim und in einem Kindergarten tätig. Mit Jugendlichen wollte ich eigentlich nie was zu tun haben. Ich fand Jugendliche grauenvoll: die pubertieren und das fand ich furchtbar. Im Nachhinein kann ich sagen, dass es super cool ist mit Jugendlichen zu arbeiten, auch wenn es schwieriger ist als mit kleinen Kindern. Die Kleinen klettern viel schneller mal auf deinen Schoss, bitten dich etwas vorzulesen und haben dich dann ganz schnell lieb, einfach nur weil du die Erzieherin bist. Die Kids ab der 5. Klasse haben ganz andere Sorgen und Nöte und checken dich natürlich viel stärker aus. Aber wenn man dann mal das Vertrauen von einem Jugendlichen gewonnen hat, dann ist das einfach großartig. Es ist einfach toll, sie zu begleiten.

Unsere Arbeit hat mehrere Schwerpunkte. Offiziell sind wir eine „Filiale des Jugendsamts“. Das verwende ich allerdings nicht gerne, weil das sehr negativ behaftet ist. Wir sind „einfach“ für die Kinder und Jugendlichen da und sind Anlaufstelle für alles, was sie brauchen. Wir hören uns den ersten Liebeskummer genauso an, wie wir uns um banale Sachen kümmern wie, z.B. einen Sportverein zu finden, obwohl dafür kein Geld da ist. Wir organisieren Nachhilfe oder unterstützen Kinder, die uns die Lehrer schicken. Aber vor allem sind wir da, wenn es zu Hause nicht rund läuft auf Grund von Vernachlässigung, Überforderung, psychische Krankheit von Eltern etc. oder Schülerinnen in irgendeiner Art Krise stecken. Wir arbeiten dann in Einzelstunden mit den Schülerinnen und in enger Kooperation mit den Eltern, Lehrer*innen und anderen Helfern.

Wir haben ziemlich viele Verhaltensauffällige oder besser gesagt massiv verhaltensauffällige Kinder, die auch mal den ganzen Unterricht sprengen – gerade in der 5. oder 6. Klasse. Entweder holen wir sie dann aus dem Unterricht komplett raus oder bleiben einfach dabei. Schöner wäre es, wenn wir noch viel, viel mehr dabei sein könnten. Optimal wäre es, wenn in jeder Klasse jemand von uns sitzen könnte. Aber dafür sind wir zu wenig: wir betreuten zu zweit 15 Klassen, insgesamt knapp 290 Schüler mit einem Migrationsanteil von fast 90%. Auch wenn wir schon sehr kleine Klassen haben, ist es oft nicht zu bewältigen: der eine kommt nicht mit, weil er Legasthenie hat und Testungen ausstehen und der andere haut um sich, weil er seine Wut nicht unter Kontrolle bekommt. Jeder braucht unsere Hilfe und wenn ich mal wieder in einer Klasse dabei war, hab ich wieder ein paar Einzelfälle mehr, die ich betreue.

Ein weiterer Teil unserer Arbeit sind Projekte: Klassengemeinschaft, Konfliktlösungen, Mobbing, Umgang mit Medien und ein wertschätzender Umgang miteinader. Aber auch erlebnispädagogische Projekte, wie zum Beispiel Flossbauen mit den 5. Klassen, um das Miteinander zu stärken. Diese Projekte sind richtig toll, weil man da die Kinder auch mal ganz anders kennenlernt und einen ganz anderen Draht zu ihnen bekommt. Oder wir begleiten Lehrer bei ihren Ausflügen, weil vielleicht ein paar „Kracher“ mit dabei sind, und das alleine nicht machbar ist.

Und natürlich ist auch viel Elternarbeit dabei. Wir beraten die Eltern in Fragen, bei denen sie selber nicht weiterkommen oder eben einfach Unterstützung brauchen. Zunächst mal schauen wir, was wir selber mit den Eltern lösen können in Gesprächen und mit praktischen Tipps oder der Anbindung an eine Erziehungsberatungsstelle oder andere Hilfen der Jugendhilfe. Das wird dann besonders spannend und schön, wenn wir eine Kindeswohlgefährdungsmeldung ans Jugendamt abwenden können. Das bedeutet, dass ich in einigen Fällen erst mal keine Meldung mache muss, sondern Eltern überzeuge sich Hilfe im Sozialbürgerhaus/Jugendamt zu suchen bevor Situationen eskalieren und dann eine Meldung gemacht werden muss oder eben mit uns kooperieren. Denn das Kindeswohl steht über allem. Wir können leider nicht alle unsere Klienten zu allen Amtsterminen begleiten, weil uns dafür die Kapazität fehlt, aber wo es geht machen wir es, da wir oft die Stelle sind wo Probleme das erste Mal ausgesprochen werden. Wir sind ein sehr niedrigschwelliges Angebot und dann häufig Vertrauenspersonen. Ämter sind immer eine Hürde; Die Mitarbeiter*innen dort haben sehr viel zu tun und arbeiten unter anderen Bedingungen. Ich verstehe deren Situation auch echt gut, denn ich hab auch mal in einem Amt hospitiert und weiss, wie stark unterbesetzt sie dort zum Teil sind. Aber oft fehlt mir einfach das Feingefühl und die Geduld. Ich will niemandem an den Karren fahren, weil ich mir denken kann, wie anstrengend das ist, aber wenn ich weiss, dass jemand recht schnell ausflippt, dann muss ich halt vielleicht anders kommunizieren. Und dafür sind wir dann eben manchmal da und können vermitteln.“

Sozialkompetenz

“Tja, wer bin ich. Ich bin der Stefan, 52 Jahre, gelernter Friseur, übergangsweise Vintage-Händler und jetzt Tapetenproduzent neuerdings. Wir haben die Tapete revolutioniert. Deshalb mach ich hier gerade auch Räumungsverkauf, weil die Tapeten so abfliegen und ich mich jetzt nur noch darauf konzentrieren möchte.

Ansonsten bin ich eigentlich jemand, der damit wirklich hadert, dass die Sozialkompetenz in der Gesellschaft langsam abhanden kommt und dass wir hier auch im Laden ständig mit der H&M Mentalität der Menschen konfrontiert werden. Wir sind hier sehr persönlich und haben auch einen schön bunten, lebenslustigen Laden gemacht. Das kommt auch gut an, aber trotzdem haben die Leute noch nicht verstanden, dass sie ab und zu mal Hallo und Tschüss sagen können und dass sie sich auch mal gegenseitig anlächeln könnten. Das ist der Grund, weshalb ich eigentlich ganz froh bin, dass der Laden weg ist.

Und wenn wir hier raus sind, dann kommt hier ein Immobilienmakler rein und macht München noch bunter. Autsch. Tja, 5.000 Euro Miete müssen ja auch irgendwie bezahlt werden. Für die gleiche Größe zahlst du aber ein paar Häuser weiter vorne am Gärtnerplatz 16.000 EUR. Das ist also hier fast ein Schnäppchen.”

Und was hat es jetzt mit der Tapete, die sie revolutioniert haben auf sich? Findet es selber raus: wallstoxx.com

Stefan hab ich übrigens kennengelernt, weil dieser unfassbar schöne Schrankkoffer auf dem Gehsteig stand, der um die 100 Jahre alt ist. Er hat mich magisch angezogen und wenn ich das nötige Kleingeld hätte, hätte ich sofort einen gekauft.

Jeden Tag genießen

“Ich würde mir wünschen, dass die Menschen wieder respektvoller miteinander umgehen. Es fängt bei den kleinen Dingen an, wie jemanden mal mit dem Auto oder dem Fahrrad durchzulassen. Wir kommen aus dem Raum Ingolstadt, mit den Jahren  begegnet man bei uns immer öfters der so genannte “Ellenbogen-Gesellschaft”! Ich fände es besser und schöner, wenn es ein besseres Miteinander geben würde. Egal ob jemand jung oder alt, arm oder reich ist, gesund oder krank. Jeder kann von dem anderen profitieren. “Miteinander statt jeder für sich”, das wäre mein Wunsch für die Zukunft!”

Fundbüro

“Mein Motto: „Das Leben ist kein Fundbüro für verpasste Gelegenheiten“
Wenn ich jemanden am Anfang seines Lebens ein Rat geben dürfte, dann den, das man alles ausprobieren sollte. Lass dir von niemanden vorschreiben wer und wie du sein solltest. Kompromisse nur eingehen ohne sich zu verbiegen, das gilt für den Job genauso wie jeder Beziehung, zumindest habe ich diese Erfahrung gemacht.”

Togo

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“Ich studiere hier im 8. Semester Anglistik. Ich hoffe, dass ich mal Lehrer oder Entwicklungshelfer werde. Ich habe schon ein paar Jahre in  Japan gelebt und bin es daher gewohnt, mich an andere Kulturen und Umständig zu gewöhnen. Aber als dann der Unfall in Fukushima war, da konnte und wollte ich nicht mehr dort bleiben – es war einfach zu schrecklich – und bin erst mal wieder in meine Heimat Togo zurück.

Ich habe noch immer Heimweh und vermisse meine Familie und meine Freunde sehr. Und das Essen. Über WhatsApp habe ich aber immer viel Kontakt – gerade zu meiner Mutter. Irgendwann möchte ich auch wieder zurück in meine Heimat. Togo braucht gute Leute – es ist so ein kleines Land.

Hier Fuss zu fassen, war gar nicht leicht. Vor allem weil ich noch am Flughafen kurz nach der Landung hier in München erfahren habe, dasss mein Zimmer, das ich mir noch von Togo aus organisiert habe, dann doch nicht frei war. Und ein Zimmer in München finden ist schon an sich schwer, aber wenn man ganz neu ist, ist das noch viel schwerer. aber ich hab dann ein Zimmer in einem katholischen Wohnheim bekommen. Die Schwestern waren wirklich sehr nett und haben uns unglaublich geholfen. Ohne sie wäre es wirklich gar nicht gegangen.”