31 Jahre

Gesellschaft

Viertel: Au
Lieblingsort:
Truderinger Wald
Beruf:
Kinderpfleger

– vorlesen lassen –

“Mich beschäftigt die Gesellschaft gerade sehr. Wie kann man hier weiter leben und sein, ohne anderen Leuten im öffentlichen Raum in irgendeiner Weise auf den Leim zu gehen? Ich merke, dass viele Leute echt durch den Wind sind und frage mich: Wie geht Zusammenleben in dieser Gesellschaft? Was kann man für Alternativen leben? 

Man könnte sagen, ich habe an vielen Stellen mal in die Gesellschaft hineingehört und echt viel mitbekommen, wie es zur Zeit zugeht: vom Biomarkt bis zum Café, vom Altenheim bis zum Kiosk oder dem Zeitungsladen am Hauptbahnhof während der Flüchtlingsankünfte. Ich wurde schon als Syrer beschimpft, der zurück in sein Land gehen soll, ich hab schon einem Nazi eine Zeitschrift über Pistolen und Schalldämpfer verkaufen müssen und mir hat schon jemand mit einem Regenschirm auf den Kopf geschlagen, weil meine Maske nicht richtig saß. Da merke ich einfach, jeder macht sein Ding und möchte es dem Anderen überstülpen; es gibt keine wirkliche Einheit. Die Leute sehen sich nicht mehr. Die sehen nur das, was ihnen ihr Kopf oder das Fernsehen zeigt und meinen, so ist es. Wenn man was verändern wollen würde, dann müsste man die Leute sich zuhören lassen. Und zwar nicht bei YouTube oder beim Lanz, sondern hier auf dem Platz oder bei mir in der Arbeit. 

Ich bin Kinderpfleger in einem evangelischen Kindergarten. Es gibt in der Nähe eine aus Containern bestehende Flüchtlingsunterkunft und es kommen hauptsächlich Kinder mit Migrationshintergrund zu uns. Wenn man diese Familien der deutschen Gesellschaft gegenüberstellt, dann fühlen sie sich oft nicht gut. Viele Kinder fühlen sich nicht wertvoll, nicht angenommen. Meine Aufgabe ist es dann, zu ermöglichen, dass sich alle wohl und in irgendeiner Form akzeptiert fühlen, zusammenspielen und Freunde werden. Ganz nach einem Teilsatz auf einer bekannten Kräuterlikeurflasche, versuche ich den Schöpfer zu ehren, indem ich seine Geschöpfe ehre.

Für mich sind diese Familien ein Teil der Gesellschaft. Denn ich nehme alle an, so wie sie sind. Das merken die Kinder ganz schnell und kommen dann zu mir. Und ich freue mich, dass ich dieser Mensch sein darf.”


Lass Dir die Geschichte von einer Erzählerin vorlesen: