Lebensgefühl
Viertel: Au
Lieblingsort: Kabelsteg
Beruf: Apothekerin
“Gerade finde ich mein Alter total angenehm, weil ich nicht mehr so viel ausprobieren muss. In meinen Zwanzigern bin ich viel umgezogen, hab meinen Job oft gewechselt und jetzt sehe ich endlich, was ich machen möchte, wo ich stehe im Leben und mit wem ich sein möchte.
In meiner Zeit in Dresden habe ich ganz andere Menschen kennengelernt als in München. Menschen, die mehr für die Freizeit leben und eben nicht in diesem “40-Stunden-Vollzeit-Berufsleben” drin stecken.
Zurück in München wollte ich es dann auch für mich umsetzen. Auch wenn es echt sehr schwierig ist hier, anders zu sein. Ich habe viel Gegenwind und immer wieder die gleiche Frage bekommen: Wie verdienst du dann dein Geld? Dabei ist es total einfach: ich arbeite 25 Stunden in der Woche und kriege dafür ein Gehalt, von dem ich gut leben kann.
Wenn man nämlich länger darüber nachdenkt, kann man sich das gut leisten. Je mehr Zeit man hat, desto günstiger kann man nämlich leben. Ich fahre mehr mit dem Fahrrad, pflanze mein Gemüse teilweise selber an und kaufe meine Kleidung nicht neu, sondern gebraucht. Zudem denke ich: Wenn ich jetzt gut auf meine Ressourcen achte und mich nicht überarbeite, dann muss ich auch nicht mit Mitte 60 in Rente gehen. Deshalb forme ich mein Berufsleben jetzt so, dass es mich erfüllt. Dann muss ich gar nicht in Rente gehen, sondern arbeite einfach weiter – zum Beispiel in meinem Zweitberuf als Heilpraktikerin.
Einer der schönsten Effekte ist jedoch, dass ich jetzt Zeit habe, in Ruhe Instrumente zu spielen, Yoga zu machen, Polnisch zu lernen oder im Herbst viel mit der Natur zu machen, Pilze zu suchen oder Quitten einzukochen. Vor einiger Zeit habe ich noch eine Ausbildung zur Heilpraktikerin angefangen. Mit einem Vollzeitjob hätte ich keine Zeit für diese ganzen Projekte und ich finde es total schön, dass bei mir die Arbeit nicht mehr im Fokus stehen muss. Auch wenn ich super gerne zur Arbeit gehe. Jetzt habe ich Zeit, mich damit zu beschäftigen, wie ich leben möchte und es ist einfach ein ganz anderes Lebensgefühl. Und ich bin überzeugt: das könnte jeder. Man muss sich nur trauen, anders zu sein. Und es ist nie zu spät, seine Bedürfnisse endlich auszuleben.”
Lass Dir die Geschichte von einer Erzählerin vorlesen:
100 Portraits of Munich 