41 Jahre

Schatten oder Licht?
Eine Frage des Blickwinkels

Stadtviertel: Harlaching
Lieblingsort:
Großhesseloher Brücke bei Pullach
Beruf:
Agile Coach

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“Nach außen waren wir immer die perfekte Family. Mein Vater war sehr charismatisch und gesellig. Eine Mischung aus Georg Clooney und Robert Redford. Die Taschen immer voller Geldbündel. Bei anderen war er stets großzügig und hat mich oft von der Schule abgeholt. Die anderen Kinder fanden das toll. Was sie nicht gesehen haben: Die Angst, jedes Mal aufs Neue in diesen roten Honda einzusteigen.

Ich weiß rückblickend gar nicht, was das Schlimmste war. Die tagelange Ignoranz, als wäre man gar nicht anwesend? Der Telefonterror? Die vielen Drohungen? Oder die Augen und Ohren überall gleichzeitig zu haben und möglichst unsichtbar zu sein, um ihm bloß keinen Anlass zu geben, wieder auszuflippen? Ich erinnere mich noch gut daran, wie er abends mit seinen Weinflaschen und Zigaretten im Wohnzimmer saß, um sich vom TV berieseln zu lassen. Das Betreten des Wohnzimmers war dann Anlass genug für den nächsten Ausraster.

Ich habe von klein auf mit meiner Mama gelernt, ein schönes Bild zu wahren. Nicht zu zeigen, wenn es mir nicht gut geht und schon gar nicht den wirklichen Grund dafür zu kommunizieren. Das macht es auch heute noch schwer für mein Umfeld. Manchmal höre ich, dass ich so schlecht greifbar bin. Ich wusste lange nicht, wie Kommunikation funktioniert und wie man Konflikte löst.

Mittlerweile klappt das sehr gut und es ist sogar mein Job das zu tun. Dennoch: Es ist ein Prozess – bis heute.

Als Erwachsene zu erfahren, dass er in einem Hochsicherheitsgefängnis saß, hat nichts von dem entschuldigt, was er anderen Menschen alles angetan hat. Gleichzeitig zählt für mich der Joker “Ich hatte keine gute Kindheit und deswegen bin ich so” nicht. Wir haben alle unser Päckchen und jeder Mensch bringt seine Geschichte mit. Viel wichtiger ist doch: Was mache ich aus meiner Zukunft und wie möchte ich sein – im Hier und Jetzt? Im Job, in einer Partnerschaft oder auch als Freundin und Wegbegleiter?

Natürlich können wir uns das ganze Leben mit negativen Dingen beschäftigen und jammern, was wir erlebt haben. Wir können uns aber auch der Sonne zuwenden und aus dem Positiven Kraft schöpfen. Egal wie das Licht gerade fällt.

Was mir definitiv geblieben ist, ist mein Glaube. Gewisse Automarken mag ich hingegen nach wie vor nicht. Sorry Honda!”


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