44 Jahre

Ich liebe mein Leben

Stadtviertel: Kirchheim
Lieblingsort:
St. Jakobsplatz
Beruf:
Stadtführemrin

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“Mein Lebenslauf ist nicht gerade geradlinig und ich habe im Leben schon einiges erlebt – gerade das letzte Jahr war wirklich nicht einfach. Aber ich kann von ganzem Herzen sagen: ich liebe mein Leben. Das liegt sicher an meiner positiven Einstellung gegenüber Menschen und dem Leben an sich. Aber das liegt auch daran, dass ich den absoluten Traumjob für mich gefunden habe: Ich bin Stadtführerin und das aus voller Leidenschaft. Wenn ich es schaffe, meine Freude an unserer Geschichte und unserer Kultur ein Stückchen anderen näher zu bringen, dann erfüllt mich das. Besonders liebe ich, dass ich nicht nur meine Persönlichkeit ausleben kann – ich erzähle wirklich gerne und auch bei den Gewandungstouren als Kräuterhexe, als Nachtwächter oder als Halloween-Untote in andere Rollen zu schlüpfen hat einen großen Reiz. Ich hab aber besonders Spaß daran, den Menschen etwas mitzugeben und ihnen eine gute Zeit zu bereiten. Wenn mir nach einer Tour Schüler oder Schülerinnen sagen, dass die Zeit verflogen ist, oder dass sie noch mal in Ruhe weiter die Kirche ansehen wollen, dann hab ich alles richtig gemacht und das macht mich einfach glücklich. Und genauso ist es mir wichtig, in der Gedenkstätte Dachau der jüngeren Generation unsere Geschichte mitzugeben, damit wir sichergehen können, dass sich bestimmte Dinge nicht wiederholen.

Ich mag es besonders, dass ich nicht nur Wissen vermitteln kann, sondern auch mit Menschen zu tun habe und jede Gruppe ist anders: mal ist es eine Seniorengruppe, mal eine Schulklasse, mal der Betriebsausflug oder eine Gruppe der freiwillige Feuerwehr. Ich muss mich nicht nur auf jede Gruppe einstellen, sondern ich muss auch immer auf alles gefasst sein. Die schönen Erlebnisse sind dann, wenn die ganze Gruppe im Biergarten für mich zu singen anfängt und die weniger schönen, wenn Betrunkene an meinen Kostümen zu zerren anfangen. Aber auch hier: gottseidank kann ich es weglächeln und bin flexibel genug, um darauf zu reagieren. Dann wird schon mal aus der Tour über Huren und Hexen im Mittelalter eine Bier-Tour.   

Natürlich ist es nicht immer einfach im Leben: gerade die letzten Jahre mit Corona haben mich immer wieder ins Grübeln gebracht, ob ich wieder zurück in den sicheren Job zur Bank gehen sollte. Zudem hatte ich auch letztes Jahr schwere gesundheitlichen Probleme. Das will ich auch gar nicht schön reden – ganz im Gegenteil: ich finde es sogar wichtig auch über die Schattenseiten des Lebens zu reden. Aber ich finde, diese Tiefs gehören zum Leben dazu, und man kann sie nutzen, um die Hochphasen wieder mehr zu schätzen. Zum Schluss bleibt es doch die Kunst zu sagen: Vielleicht war es nicht immer schön, aber ich hab mein Leben geliebt. 

Hast du eine Tour, die du besonders gerne mal machen würdest? 
Ich mag es unheimlich gerne, dass ich breit aufgestellt bin und Bögen zwischen den verschiedenen Jahrhunderten schlagen kann. So kann ich erklären, warum in dem einen Jahr etwa passiert ist und dann in der logischen Folge 300 Jahre später etwas anderes. Es macht mir viel Spaß mich in alle Details reinzufuchsen und die Geschichte dann mit diesen Details zu garnieren. Daher würde es mich besonders reizen, mal eine Tour anzubieten, in der man die Stadtgeschichte anhand der Kirchen erklärt: die Peterskirche, die Heilig Geist Kirche, die Frauenkirche, die Michaelskirche, die Theatinerkirche und dann im Idealfall sogar noch die Ludwigskirche, die protestantischen Kirchen und den Standort der alten Synagoge. Bisher ist es leider noch nicht zustande gekommen, aber das wird noch!

Gab es für dich auch mal besonders emotionalen Momente?
Die Touren durch die Gedenkstätte in Dachau sind für mich immer sehr emotional. Einerseits weil ich durch eine Tour als Jugendliche dort von dem ehemaligen Häftling Franz Brückl geführt und dort meine Leidenschaft für Geschichte entfacht wurde. Andererseits auch weil man dort unsere Verantwortung spürt, die wir den nächsten Generationen über haben. Umso mehr berührt es mich immer wieder, dass es immer mehr Leute gibt, die dort Hakenkreuze in die Wänden ritzen oder provokativ vor dem Krematorium trotz Rauchverbot eine Zigarette rauchen oder mich als Guide angehen. Ein ganz besonderer Moment war jedoch letztes Jahr: wegen Corona durften wir keine Gruppen durch die Gedenkstätte führen, also haben wir ganz spontan live einen Rundgang per Video gemacht. Kurz bevor wir mit der Aufnahme begonnen habe, hat mir jemand aus dem Archiv gesagt, dass erst einige Wochen vorher der Nachlass von besagtem Franz Brückl abgegeben wurde und ich ihn gerne auch zeigen dürfte. Das sind dann die ganz besonderen Momente, in denen ich wieder für alles versöhnt bin.

Was ist Dein Lieblingsort? 
Ich liebe den St-Jakobs-Platz. Er ist Mitten in der Stadt und hat so viel Geschichte erlebt. Alleine die vielen wichtigen Gebäude: das Stadtmuseum, das jüdische Zentrum. Gleich um die Ecke ist die Peterskirche, der Rindermarkt, der Viktualienmarkt und der Marienplatz. Es war schon immer ein Ort, an dem sich einerseits wichtige Leute getroffen haben, und andererseits hat auf dem Platz auch immer der Alltag stattgefunden: die erste Dult war hier und genauso wurde die Wäsche hier gewaschen. Hier steckt so viel Geschichte und trotzdem strahlt er heute so viel Ruhe aus. 


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