57 Jahre

Ruhe

Stadtviertel: Dreimühlenviertel
Lieblingsort:
der Gemeinschaftstisch unseres Hinterhofs und der Rosengarten an der Isar
Beruf:
Architekt

– vorlesen lassen –

“Für mich scheint das Wir, das Gemeinsame, Wichtigkeit zu haben – im Privaten wie auch Beruflichen. Ich vermute das kommt aus meiner Lebensgeschichte: unser Vater starb sehr jung. So musste unsere Mutter auf sich gestellt uns sechs minderjährige Geschwister und ein Baby durchbringen. Sie war bis dahin Vollzeit-Hausfrau und nahm eine Stelle als Putz- und Spülhilfe in der Gastronomie an. Meist war sie mehr als 16 Stunden am Tag in der Arbeit und wir Kinder wurden ein selbstverwalteter Haushalt mit vielen Konflikten untereinander. Auch wenn es zwischen uns bisweilen auch brutal zuging oder wir nur keine Lust hatten: jeder hatte verstanden, dass man einen Beitrag zum familiären Leben zu leisten hatte. So hatte jeder seine Rolle – oder hat sie sich genommen.

Ich wurde zum Kümmerer – möglicherweise weil ich es konnte. Anfangs wurden wir Jüngeren tagsüber in die Obhut unserer Tante gegeben. Sie hat uns spüren lassen, daß sie die Betreuung nicht gern übernahm, das Mittagessen gab es neben dem Kuhstall und ich fand es furchtbar für uns. Als ich 9 Jahre alt wurde, meinte ich zu unserer Mutter, dass wir das nicht mehr möchten und uns künftig allein versorgen wollen. Sie hat mir also gezeigt wie man Essen warm macht und bald lernte ich von Ihr für uns zu Kochen. So wurde ich derjenige unter uns, der die Verantwortung für den Haushalt übernahm, womit ich in unserer Großfamilie sehr schnell verantwortlich wurde: anfangs vom Feuer machen in der Küche und Pausenbrote vorbereiten am Morgen bis hin zum Kochen, Waschen Bügeln, Putzen etc.

Diese Rolle des Kümmerers ist mir bis heute geblieben: ich versuche im Beruf die Projektteams zusammenzubinden, meine Mitarbeiter fast zu mütterlich zu betreuen und auch die Nachbarschaft im Haus zusammenzubringen. Insbesondere mit unseren Seniorinnen und Senioren im Haus braucht es viel Ausdauer bis ein gemeinsames Essen oder ein Spieleabend stattfinden kann. Es trifft mich leider auch persönlich, wenn meine Anstrengungen Menschen zusammenzubringen nicht gelingen. Es beschäftigt mich sehr wie es den anderen geht und mir scheint es dann gut zu gehen, wenn es den anderen gut geht.

Im Rückblick bin ich stolz auf uns als Familie. Wir haben uns dank unserer Mutter gut durchgebissen, sind alle im Beruf selbstständig und keiner ist auf seinem Weg auf der Strecke geblieben. Darauf bin ich sehr stolz. Auf mich. Auf uns.”

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