73 Jahre

Dankbar

Viertel: Pasing
Lieblingsorte:
Gastwirtschaft Schweizer Hof
Beruf:
Präsident des Arbeitsgerichts a.D

– vorlesen lassen –

“Zusammengefasst würde ich sagen, dass ich ein sehr ereignisreiches, abwechslungsreiches Leben bisher hatte: sowohl privat als auch beruflich. Ich hatte nicht nur sehr viel Glück im Leben, sondern habe auch in einer Phase in der Bundesrepublik gelebt, die sehr wenig durch Ängste dominiert war. Von daher bin ich sehr dankbar für die Gnade meiner richtigen Geburt.

Ich bin als Einzelkind in einer typischen Nachkriegsfamilie in Laim aufgewachsen. Dank des Drängens meines Vaters habe ich Abitur gemacht und konnte Jura studieren. Mit 21 Jahren war dann der erste “extreme” Punkt in meinem Leben: ich bin sehr jung Vater geworden. In unserer Studentenehe hatten wir trotz Unterstützung der Eltern, Jobben und Bafög mit sehr starken wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen. Zugleich aber war es auch ein glückliche Zeit beim Aufwachsen meiner kleinen Tochter.

Der Gegenpol ist dann über 25 Jahre später gekommen, als ich mit meiner jetzigen Frau Zwillinge bekommen habe. So konnte ich als sehr junger und als älterer Vater die Entwicklungen der Kinder aus völlig verschiedenen Blickwinkeln mitverfolgen. Das war für mich sehr prägend.

Nach Abschluss des Studiums und einigen beruflichen Stationen kam leider auch das Ende meiner ersten Ehe, und ich habe, nach der Wende, ein Angebot nach Chemnitz ans Arbeitsgericht angenommen. Aus den geplanten drei Monaten sind mit Verlängerungen und einer Ernennung zum Präsidenten fünf Jahre geworden. Für mich ist das eine sehr prägende Zeit gewesen: Diese Aufbruchstimmung war spannend und man hat viel aus der Zeit vor der Wende mitbekommen. Wir mussten praktisch ohne geschultes Personal alles aufbauen: Die meisten Richter waren vorbelastet und entlassen worden und im nicht richterlichen Bereich hatten wir fast nur in Schnellkursen angelernte Kräfte: von der früheren Friseuse bis zur Industriearbeiterin. Die technische Ausstattung war erst im Aufbau und manchmal hab ich mir gedacht: “Das kann doch eigentlich nicht klappen!” Aber es ist nichts schief gegangen – und das obwohl wir die Gerichtsgänge voll mit Kündigungsschutzklagen hatten, weil die Kombinate Tausenden gekündigt hatten. Aber es war so eine tolle Gemeinschaft, mit der man auch mitgewachsen ist.

Nach einigen weiteren Stationen sind wir inzwischen wieder in München und mir ist gerade in der aktuellen Situation mit dem schrecklichen Ukraine-Krieg wieder bewusster geworden, dass es plötzlich ziemlich schnell bergab gehen kann. Bisher ist der Kelch an mir persönlich vorüber gegangen und ich hoffe, das bleibt noch eine Weile so.”


Lass Dir die Geschichte von einer Erzählerin vorlesen: