75 Jahre

Viel Erlebt

Viertel: Au
Lieblingsort:
Auer Mühlbach
Beruf:
ehem. Lehrerin, jetzt Rentnerin

– vorlesen lassen –

“Mein Mann und ich, wir sagen uns immer: wir hatten den besten Teil. Die Leute vor uns waren im Krieg und was mit denen nach uns ist, das wissen wir nicht. Wir hatten so viele Möglichkeiten! Ich bin viel herumgekommen: Frankreich, Spanien, Argentinien, Portugal …. Außer kleineren Sachen, die man alle irgendwie überwunden hat, ist mir nicht viel Schlimmes passiert. Ich bin mit meinem Leben zufrieden.

Als ich mich für den Auslandsschuldienst beworben habe, wusste ich nicht, wohin ich komme. Als dann der Vorschlag Argentinien kam, musste ich mich entscheiden: geh ich hin oder nicht. Das Besondere war nicht so sehr, dass ich dann dorthin gegangen bin, sondern, dass ich alleine als Frau mit meiner 16-jährigen Tochter viele abenteuerliche Reisen gemacht habe: nach Bolivien, nach Feuerland, nach Chile, nach Brasilien. Die Leute haben sich immer gewundert, dass wir uns das trauen. Ab und zu wurde uns mal was gestohlen, wir hatten Verkehrsunfälle oder Schwierigkeiten mit dem Auto. Aber so richtig passiert ist uns nichts. Heute würde ich es mir nicht mehr trauen. Aber damals hat man es einfach gewagt. 

Heute sind die jungen Leute nicht mehr so unternehmungslustig. Wahrscheinlich, weil sie alles haben und alles recht bequem ist für sie. Es war einfach eine andere Zeit. Wir hatten kein Geld, und wenn wir nicht hinausgegangen wären in die Welt, dann hätten wir nichts erlebt. Die Dinge haben sich für mich immer irgendwie entwickelt, aber ich musste auch offen für Gelegenheiten sein und dann die richtige Entscheidung treffen.
In der vorletzten Klasse vor dem Abitur habe ich mich als Aupair in Frankreich beworben. Die Familie hatte eine Spanierin als Köchin, durch die ich spanisch gelernt habe. Dadurch bin ich nach Spanien gekommen und später auch nach Argentinien und nach Portugal.

Wichtig in meinem Leben waren mir immer die Bücher. Ich besitze noch eine ganze Menge und lese jeden Tag. Schade, dass viele Leute keine Lust mehr am Lesen haben. Bücher bringen so viel Abwechslung ins Leben.

Seit über 40 Jahren lebe ich mit Unterbrechungen (s.o.) in meiner Wohnung in der Au und mein liebster Spaziergang ist auf dem Isar-Hochufer zwischen dem Nockherberg und der Kirche. 

Große Wünsche habe ich keine mehr. Vielleicht noch mal nach Neapel und Sorrent. Das war eine Reise, die wir geplant hatten. Aber dann habe ich mir den Knöchel gebrochen, und wir mussten absagen. Es muss aber nicht unbedingt noch sein. Man kann ja nicht mehr so planen wie früher, weil im Alter vieles kommen kann. Ich habe genügend gesehen und erlebt und wünsche mir nur, dass mein Mann und ich noch viel angenehme Zeit miteinander verbringen können.”


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