82 Jahre

Glück

Viertel: Grünwald
Lieblingsort:
Marienplatz, Englischer Garten, Hofgarten
Beruf:
Rentnerin

– vorlesen lassen –

“Ich bin ein halbes Jahr nach Kriegsausbruch geboren und habe den ganzen Krieg in Berlin verbracht. Es war furchtbar. Selbst Jahre später hab ich noch von der Verfolgung der Russen und von brennenden Städten geträumt. Aber wir sind im letzten Zug aus Berlin raus gekommen. Alles brannte um uns herum.

Die Nachkriegszeit war dann umso schöner. Wir kamen auf eine Elbinsel und dort war es paradiesisch. Am Anfang gab es dort auch Tiefflieger, aber keine Bomben mehr. Die alteingesessenen Bauern waren schwierig mit uns Flüchtlingen. Wir waren zuerst provisorisch in einem Loch untergebracht bei einem Bauern, der sehr streng war. Mein Vater war in englischer Gefangenschaft und meine Mutter erwartete meinen jüngsten Bruder. Es war ganz schön übel. Aber eines Tages kam ein englischer Jeep auf den Hof. Alle haben sich sehr gefürchtet. Aber der Jeep war vollgepackt mit Lebensmitteln und mein Vater stieg aus. Er hatte es in der englischen Gefangenschaft so gut getroffen, dass sie ihn entlassen haben, damit er bei der Geburt bei uns sein konnte. Ab da ging es uns immer gut. Wir haben einfach immer Glück gehabt.

Meine Mutter war eine sehr sozial eingestellte Frau, die immer allen geholfen hat und so mache ich es auch heute noch. Sei es Essen auf Rädern ausfahren, mich mit den Bewohnern in einem Haus für erworbene Gehirngeschädigte zu beschäftigen oder in Familien zu helfen. Mir fliegen auch immer bestimmte Familien zu – seien es die Zwillinge, die beeinträchtigt waren oder die Familie, bei der ich heute noch immer so gerne helfe. Die Kinder sind mir so ans Herz gewachsen und ich freu mich immer, wenn ich mit ihnen zusammen bin. Mir ist wichtig, dass man füreinander da ist, aufeinander schaut und auch mal Dinge wahrnimmt, die nicht offensichtlich sind.

Ich hatte auch Schicksalsschläge, aber ich bin mein ganzes Leben ein glücklicher Mensch gewesen. Viele sagen, du gibst ja auch so viel. Aber ich merke es nicht. Mich macht das Geben und Nehmen glücklich. Genauso wie mich meine Leidenschaft für klassische Musik, schöne Kunstausstellungen, sowie Städtereisen immer wieder sehr glücklich machen und mein Leben bereichern.”


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