83 Jahre

Alter

Lieblingsort: Gasteig, Herkulessaal, Max-Joseph-Saal, das Residenztheater, die Oper, die Kammerspiele
Beruf:
gelernte Buchhändlerin
Viertel: Gauting

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“Mein Leben besteht aus Ereignissen und Erlebnissen, an denen ich es festmache, positive und negative. Ich erinnere mich noch an mein Abitur: vorher an den Stress und die Anspannung und nachher an die Befriedigung, es geschafft zu haben. Die Geburten meiner vier Kinder waren wichtige Ereignisse, genauso wie die Entscheidung, mich erst mal nicht mehr meinem Beruf als Buchhändlerin, sondern der Familie zuzuwenden. Mein Leben war ausgefüllt und es war immer ordentlich was los. Auch die Zeit, als ich meine Berufstätigkeit wieder aufgenommen habe, war wichtig. In Rente habe ich dann noch zehn Jahre ehrenamtlich einen Besuchsdienst in einer Klinik gemacht. Freunde sind ganz früh gestorben. Und dann auch der Tod meines Ehemanns. Wir waren fast 50 Jahre verheiratet, “in guten und in schlechten Tagen”. Das sind alles wichtige Dinge, die in meiner Erinnerung und auch in der Resonanz meines Körpers bleiben. 

Jetzt bin ich eine gemütliche Rentnerin und lebe hier in einer viel zu großen Wohnung. Ich bin allein, aber nicht einsam. Jeder Tag hat seinen Rhythmus und ich habe mir angewöhnt, jeden Tag etwas zu unternehmen. Mein Mann und ich waren leidenschaftliche Theater- und Opern-Geher. Das geht heute leider nicht mehr, aber jetzt sind es eben Spaziergänge, Lesekreise oder Ausflüge mit Freundinnen. Genauso hält mich auch mein großes Standbein auf der Welt: die Literatur, die mich mein Leben lang begleitet hat. 

Mir ist wichtig, in Harmonie mit meiner Umwelt zu leben, ohne dass ich mich verbiegen muss. Dass ich auch mal schwierige Sachen aushalten kann, denn ich selbst biete ja auch Angriffspunkte. Ich habe ein gutes Verhältnis zu meinen Kindern und Enkeln, auch zu meinen Freunden und weiß mich in einer Schale von Zuversicht oder Freundschaft gehalten. Und dafür bin ich sehr dankbar. Gerade jetzt im Alter, wo es enger wird im Leben. Wo es mehr Schmerzen macht und man in der Früh nicht mehr so gerne aufsteht. Wo ich sehe, was ich letztes Jahr noch konnte und dieses Jahr nicht mehr. Und wo ich nicht weiss, wie es nächstes Jahr wird. Ich glaube, meine großen Lebensfragen habe ich geklärt, aber das Alter, das Älterwerden und das Ältersein beschäftigen mich immer.

Früher war mir nicht so bewusst, was eine stabile Gesundheit und Kraft ohne Ende bedeutet. Was es bewirken kann, habe ich erfahren, aber es war mir nicht so bewusst zu danken. Ich bin dankbar für die Jahre, die ich habe. Dankbarkeit ist ein Gefühl, das erst im Lauf der Jahre gewachsen ist. Und ich habe sehr viel Grund, dankbar zu sein.” 


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