89 Jahre

Ein langes Leben

Viertel: Lochhausen
Lieblingsorte:
keine
Beruf:
Rentnerin

– vorlesen lassen –

“Ich bin 1934 in München geboren und in Gröbenzell aufgewachsen. Das war damals ein kleiner Ort mit einer Kirche, einem Wirtshaus, ein paar kleinen Häuschen und einer Schule. Mehr nicht. Wir hatten in Gröbenzell nur sehr wenig Bomben. Aber die Bomben in München kriegten wir schon richtig mit: der Himmel war dann immer rot und hell. Ich habe das als Kind schlimm empfunden. Wenn im nächsten Ort die Sirenen losgingen, habe ich im Bett schon das Zittern angefangen. Wir waren alle froh, als alles vorbei war.

Ich hab nach der Mittleren Reife beim Zahnarzt angefangen. Medizin hat mich sehr interessiert und es hat mir eigentlich gut gefallen. Es war aber eine sehr körperliche Arbeit, denn es war nicht so wie heute, dass man elektrische Bohrer gehabt hat, sondern es war alles mit Fußmaschinen und man musste alles mit Händen machen. Aber es war eine ganz gute Zeit.

Was mein Leben sehr geprägt hat, war die Konfirmation und meine Pfadfinderinnen-Gruppe. Ich kann mich erinnern, dass ich an der Konfirmation vor dem Altar gekniet bin und gespürt habe, dass da jemand ist, der mich hält und mich führt. Die Führerin der Pfadfinder war auch meine Vertraute, der ich alles geschrieben habe, was mir auf dem Herzen lag. Das war eine gute und wichtige Beziehung, auch später noch. Die Pfadfinderei hat mich mein Leben lang glaubensmäßig geleitet. Ich bin heute noch dabei: wir nennen uns jetzt Älteren-Gemeinschaft und treffen uns noch immer regelmäßig – auch wenn ich nicht mehr alles mitmachen kann. 

Jetzt bin ich 89 und wieder verliebt. Als mein Mann 2005 gestorben ist und 2014 auch noch mein Sohn, habe ich mich eingegraben. Eine Bekannte hat mich dann auf einen Musik-Nachmittag mit Tanz mitgenommen und ich habe gemerkt: “Oh, das geht ja noch!” Ich tanze ja so gerne. So habe ich meine Lebensfreude ein bisschen wiedergefunden. 
Dort habe ich dann auch meinen Freund kennengelernt. Ich wusste ja nicht, ob ich noch Gefühle entwickeln kann nach so einer langen Zeit. Aber es ging alles gut. Und jetzt sind wir neun Jahre zusammen. Er ist ein ganzes Stück jünger als ich, und jeder hat sein eigenes Leben. Er hat nicht so viel Zeit, wie ich mir das wünsche, aber wenn ich wieder alleine wäre, wäre das schlimm. Dann lieber doch so. Er gibt mir Halt und es ist schön, wenn wir miteinander sind. Ich hoffe ja, dass ich noch ein bisschen lebe.”


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