93 Jahre

Früher

Lieblingsort: Tierpark
Beruf:
Rentnerin
Viertel: Au

– vorlesen lassen –

“Es gibt eigentlich gar nicht viel über mich zu erzählen. Im Krieg haben die Eltern mich recht bald in ein Heim für Kinder geschickt, damit uns nix passiert. Das war auf dem Land und wir haben vom Krieg gar nicht viel gespürt. Als wir zurückgekommen sind, hatte es alles kaputt geschlagen. Aber das war uns alles wurscht. Bloss, dass der Krieg vorbei war. 

Nach dem Krieg haben wir uns dann Arbeit suchen müssen. Ich hab in einer Buchdruckerei gearbeitet. Der Vater war Berufsmaler und meine Mutter war Putzfrau, als der Vater tot war. Wir haben nicht viel Geld gehabt, aber wir waren auch nicht anspruchsvoll. Viele sagen, früher war es viel schöner. Da kann ich nur beistimmen! Wir haben nicht viel gehabt, aber das, was wir gehabt haben, da waren wir zufrieden. 

Als ich dann verheiratet war, hab ich jeden Tag gekocht nach der Arbeit. Das hat mir gar nichts ausgemacht. Nachdem mein Mann sich aber nicht so aufgeführt hat, wie er es als Ehemann machen sollte – mit fremden Weiber, trinken und immer spät nach Hause kommen – haben wir uns scheiden lassen. Aber den, wo ich dann kennengelernt habe, der war Alkoholiker und hat sehr viel geraucht. Er hat auch Geld seiner Schwester geschickt und mir nichts gesagt davon. Er ist wie mein Ex auch früh gestorben. Die habe sich beide selber vernichtet mit ihrer Sauferei und Raucherei. Mit den Männer kann man nicht sagen, dass ich Glück gehabt habe.

Ich hatte einen Sohn, aber der will heute von der Mutter gar nichts wissen. Als sein Vater gestorben ist, hat er mir geschrieben, dass er jetzt eine Freundin in Italien hat. Er hat dann nur noch selten was von sich hören lassen. Wo er sich jetzt aufhält, das tät mich schon interessieren. Ich nehm an, dass es ihm gut geht.

Jetzt wohne ich hier im 4.Stock ohne Aufzug und bin froh, dass ich die Treppen noch steigen kann. Aber sehr langsam. Ich möchte schauen, dass ich was Kleineres finde. Manchmal überleg ich auch, ins Altenheim zu gehen. Aber die sagen, dass ich dafür noch zu rüstig bin. Aber so richtig rüstig bin ich nicht mehr. Früher war ich fit und bin gerannt wie ein Wiesel. Aber heute kann ich nicht mal mehr auf die Leitern steigen und die Fenster putzen. Das beschäftigt mich sehr. Mich interessiert nichts mehr, ich muss mit einem Rollator umeinanderrollen und ich kann nichts mehr schmecken. Da komm ich mir vor, wie wenn ich schon 100 wär.”


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