98 Jahre

Kinder

Viertel: Milbertshofen
Lieblingsort:
in meinem Sessel am Fenster den Eichkatzerln beim Rumspringen zusehen
Beruf:
ehemalige Kinder-Schwester

– vorlesen lassen –

“Ich komme aus Schlesien und war Säuglings- und Kinder-Schwester. Am 17. Februar 1945 bin ich von Görlitz mit dem Kinderkrankenhaus im Lazarett-Zug nach Bayern gekommen. Damals waren so viele Kriegswirren. Wir mussten die ganzen Kinder aufnehmen, die aus Ostpreußen gekommen sind. Eines Tages kam dann der offizielle Befehl, dass wir alle weg müssen müssen. Nach 10 Tagen sind wir in Bayern angekommen. Wir Schwestern haben auf Pritschen in einer Schule geschlafen. Es wurde nicht geheizt und jeder hat mit einer Decke und mit Mänteln auf der Pritsche gelegen und gefroren. Am nächsten Tag war mein 20. Geburtstag. Danach sind wir alle entlassen worden und standen praktisch auf der Straße. Das waren wirklich schlimme Zeiten.  

Ich wollte noch weiter Krankenpflege machen, aber ich hätte die Unterkunft selber zahlen müssen und dazu war ich nicht in der Lage. Also hab ich ab da immer in Familien gearbeitet und dort auf die Kinder aufgepasst. So hab ich wenigstens immer in Familien gelebt, denn ich bin nie mehr heimgekommen. Selbst Weihnachten hab ich immer in den Familien verbracht, in denen ich gearbeitet habe. Es war viel zu wenig Zeit und auch eine finanzielle Frage.

Ich war immer auf mich allein gestellt – auch wenn ich immer Glück mit den Familien hatte und gut dort aufgehoben war. Später waren meine Eltern und meine Geschwister dann in der DDR und ich war die einzige im Westen. Als mein Vater im Sterben lag, durfte ich ihn zwar noch mal mit einer Sondergenehmigung besuchen, aber zur Beerdigung durfte ich nicht mehr hin fahren. Tja, so war das eben damals.

Später hab ich einen Mann geheiratet, der verwitwet war und schon Kinder hatte. Einer seiner Söhne war im Kinderheim und den haben wir zu uns geholt. Ich habe nie eigene Kinder bekommen, aber ich hab es auch nicht vermisst. Ich hatte ja immer Kinder um mich und war glücklich. Alle Kinder, auf die ich aufgepasst habe, waren wie meine Kinder und ich hab heute noch mit allen Kontakt. Diese Kontakte bestehen teilweise seit 65 Jahren und deren Kinder und Enkeln besuchen mich inzwischen auch. Ich liebe alle meine Kinder.

Ich wünsch mir eigentlich garnix. Ich bin zufrieden und freu mich wenn ich aufstehen kann. Ich versorgen mich selber und bin glücklich, wenn ich wieder was geschafft habe. Ich bin zufrieden und einfach dankbar, wenn es mir gut geht.”

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