Dein München

MaraBertling2.jpg

Die Fahrt zur Arbeit mit der U-Bahn ist für die meisten komplett selbstverständlich. Aber nicht für alle in München. Für viele Kinder in München wird alleine der Weg zur Schule oft zum Hindernis. Einfach weil das Geld für die Fahrkarte nicht reicht. Es gibt Hilfen, aber die setzen meisten bei der Familie oder bei den Eltern an. Aber wer kümmert sich um die Kinder? Wer hilft ihnen, auf die Beine zu kommen und wer reicht ihnen die Hand und zeigt ihnen, was für Möglichkeiten sie haben? Mara Bertling tut das nun schon seit Jahren mit ihrem Verein DEIN MÜNCHEN. Sie möchte Kindern zeigen, dass sie ihre eigene Zukunft in die Hand nehmen können. Sie gibt ihnen Selbstvertrauen zurück und hilft ihnen, durch Bildungs-, Kultur- und Sportprogramme, in unserer Gesellschaft Fuss zu fassen.
Mara, wie bist du auf die Idee gekommene mit dem Verein DEIN MÜNCHEN Kindern zu helfen?

Alles fing damit an, dass ich neben dem Studium im Rahmen gesetzlicher Betreuungsarbeit auch für das Familien- bzw. Vormundschaftsgericht gearbeitet habe. Dort habe ich Dinge gesehen und erlebt – da fällt man einfach vom Glauben ab. Mitten in unserer Stadt gibt es Zustände, von denen die meisten nicht mal etwas ahnen. Viele Kinder und Jungendliche haben einfach überhaupt keine Chance, in unserer Gesellschaft Fuss zu fassen. Einfach, weil die familiäre oder soziale Situation das nicht zulässt.

Aber geht es den Kindern denn wirklich so schlecht hier in München?

München ist in dieser Hinsicht besonders, weil man die Armut nicht sieht. Die Innenstadt ist voll von Touristen und den Menschen, denen es gut geht. Aber sobald man in andere Stadtviertel kommt, sieht es schon wieder ganz anders aus.

Um das Ausmaß ein bisschen zu beschreiben, hier ein paar Zahlen: in München leben 6.000 Menschen in sogenannten Notunterkünften. Also Unterkünften für Menschen, die derzeit keine Bleibe, bzw. ihren Wohnraum verloren haben. Keine Flüchtlinge per se, sondern jedermann wie du und ich, deren Leben in eine Schieflage geraten ist. Von diesen 6.000 Menschen sind 1.500 Kinder und Jugendliche. Die Umstände in diesen Unterkünften sind beschämend. Man kann es sich nicht vorstellen, wenn man es nicht selber gesehen hat. Und mittendrin leben 1.500 Kinder.
Eigentlich muss man gar nicht so weit gehen. Lass uns über Kinder reden, die zwar offiziell ein Zuhause haben, aber für die einfach zu wenig von allem da ist. 30.000 Kinder in München sind von Hartz IV abhängig. Laut der Hartz IV-Tabelle stehen diesen Kindern pro Monat 1,40 EUR für Bildung zur Verfügung. Wer schon mal für ein Kind Schulhefte gekauft hat, weiss dass man damit nicht weit kommt – geschweige denn Ausflüge in der Schule oder ähnliches finanzieren kann. Und für Fortbewegung und Verkehr bekommen sie 16,95 EUR im Monat. Das reicht für eine Woche. Und was ist mit den anderen 3 Wochen?

Diese Zahlen sprechen schon für sich, aber es bleibt zu befürchten, dass die Dunkelziffer der Kinder, die in München unter der Armutsgrenze wohnen oder vernachlässigt werden, noch viel höher ist. Kinder von Alleinerziehenden sind zumindest stark gefährdet und es gibt viele Familien, in denen die Eltern zwei oder drei Jobs am Tag bewältigen müssen, um sich über Wasser zu halten. Für diese Kinder hat keiner Zeit. Diese Kinder fragt keiner am Abend, was sie alles erlebt haben. Keiner kontrolliert ihre Hausaufgaben oder interessiert sich für ihre schulischen Probleme oder ihre Nöte.

Jetzt leben wir ja in einem „Sozialstaat“. Gibt es denn keine Anlaufstätten für solche besonderen Situationen? 

Natürlich gibt es zum Beispiel die Jugend- und Familienhilfen, die auch schon viel helfen. Die kümmern sich um die Eltern. Aber wer kümmert sich um die Kinder? Es geht ja nicht nur darum, wie viel Geld die Kinder haben, sondern darum, diese Kinder aufzufangen und ihnen auch auf emotionaler und sozialer Ebene unter die Arme zu greifen. Und da setzen wir mit unserem DEIN MÜNCHEN Programm an. Wir fangen da an, wo andere aufhören. Wir wollen diesen Kindern zeigen, dass sie auch Chancen haben. Wir wollen ihnen aufzeigen, dass ihre Herkunft nicht zwangsläufig bestimmt, welchen Weg sie im Leben gehen können. Wir wollen ihnen eine Welt eröffnen, die ihnen sonst verschlossen bleiben würde. Wir wollen ihnen beibringen, was in ihnen steckt, und dass sie ihr Leben selber voranbringen können. Was für viele Kinder selbstverständlich ist, wollen wir allen Kindern ermöglichen.

Du meintest gerade, dass es nicht vordergründig um finanzielle Unterstützung geht, sondern die Kinder „aufzufangen“ und ihnen „unter die Arme zu greifen“? Wie sieht das konkret aus?
DEIN MÜNCHEN ist auf drei Säulen aufgebaut: Bildung, Kultur und Sport. In all diesen Bereichen bieten wir Projekte an und ermöglichen den Teilnehmern, in allen Bereichen mitzumachen und aktiv zu werden. Junge Menschen, die einmal bei uns aufgenommen wurden, haben also langfristig die Möglichkeit von allen Projekten und Aktionen des Vereins zu profitieren. Mit diesem Prinzip begleiten wir Kinder auch über Jahre hinweg und es verdeutlicht unser Verständnis von echter Teilhabe und Partizipation! Zum Beispiel gehen wir mit ihnen in Konzerte und sie dürfen danach Backstage die Künstler kennen lernen. Wir bieten verschiedene Sportkurse an. Und in unserem Bildungsprojekt „NO LIMITS“ versuchen wir ihnen zu vermitteln, wie wichtig Bildung ist, um das eigene Leben in die Hand zu nehmen. Das sind natürlich nur ein paar einzelne Beispiele, aber es zeigt ganz schön, dass wir ihnen in allen drei Bereichen etwas bieten und sie können sich nach ihren Vorlieben und Vorstellungen einbringen.

Klingt ja eigentlich ziemlich einfach: Programm anbieten und dann kommen die Kids und bekommen ihre Chance.
Schön wär’s. Ganz so einfach ist es nicht – das mussten wir auch erst lernen. Wir arbeiten sehr eng mit Schulen, Heimen und Unterkünften zusammen. Ohne die Zusammenarbeit mit diesen Einrichtungen wäre es wirklich schwer an die Kids ranzukommen. Denn man kann nicht einfach ein tolles Programm anbieten und dann kommen sie Hurra schreiend zu dir.

Die Kinder kommen nicht begeistert zu euch und wollen mitmachen? 

Wenn sie mal bei uns drin sitzen sind immer alle begeistert, aber es bedarf schon eines kleinen „Anschubs“. Das kennt jeder, der Kinder hat: sie brauchen erst mal eine Hand, die sie in diese Richtung führt. Da sind sie halt auch einfach ganz normale Kinder.

Aber diese Kinder haben es in dieser Hinsicht doch deutlich schwerer. Denn es hat ihnen bisher niemand beigebracht, auf sich zu achten und selbständig Hilfe zu suchen oder zu nutzen. Sie werden zu Hause und in den Schulen klein gehalten. Ihnen wird immer wieder gezeigt, dass sie „ganz unten“ sind und viele von den Kindern haben nie gelernt, dass jemand Interesse an ihnen haben könnte oder ihnen etwas beibringen wollen würde – weder in der Schule noch in der Familie. Und daher ist es uns auch so wichtig, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen. Sie bemerken sofort, ob du ihnen auf Augenhöhe und mit Aufmerksamkeit entgegen kommst oder eben nicht. Und sie machen erst auf, wenn man sie ernst nimmt und sie so nimmt, wie sie sind. Und das finden sie bei uns.

Wir nehmen keine klassischen Rollen ein und daher können sie bei uns auch die ihnen angestammten Rollen ablegen. Wir reichen ihnen die Hand und zeigen ihnen, was sie noch alles ausprobieren könnten – wenn sie sich nur trauen. Und das ist sicher ein zentraler Punkt: wir geben ihnen Vertrauen in sich selber und wir zeigen ihnen neue Wege. Neue Wege einerseits sinnbildlich in dem wir ihnen zeigen, dass sie nicht genau die Straße gehen müssen, die ihnen alle zeigen, sondern dass es auch noch andere Wege gibt. Aber auch im wahrsten Sinne des Wortes: wir zeigen ihnen Neues, indem wir sie auch physisch aus der Situation, aus dem Viertel bringen und ihnen mal ihre eigene Stadt zeigen. Viele dieser Kinder sind wirklich noch nie aus ihren Viertel rausgekommen.

Vertrauen schenken klingt toll, aber ist sicher gar nicht so einfach, wenn die Kinder schon älter sind. Ihr versucht damit ja Konzepte aufzubrechen, die die Kinder über Jahre gelernt haben. Bekommt ihr da Unterstützung von außen?
Zunächst haben wir viele Menschen und Unternehmen, die uns finanziell oder mit Sachspenden unterstützen. Wir freuen uns natürlich immer, wenn es noch mehr werden, aber wir sind schon sehr dankbar, dass so viele mit ihren Spenden so vieles ermöglichen.

Wir haben aber auch noch ein wichtiges Standbein und das sind unsere Projektpaten. Sie zeigen unseren Kids als Vorbilder, dass auch sie ausgebrochen sind und ungewöhnliche Wege gegangen sind. Ein tolles Beispiel ist da Shane McMahon, der viele Hürden und Herausforderungen nehmen musste und inzwischen ein Spitzen-Restaurant hier in München führt. Wenn er den Kindern seine Lebensgeschichte erzählt, dann ist das so viel wert. Zudem erzählt er ihnen auch, wen es alles braucht, um so eine Restaurant zu führen. Er hat uns alle seine Mitarbeiter – vom Koch zum Kellner bis zum Hilfskoch vorgestellt. So können wir am lebenden Objekt zeigen, dass die Kids ein Teil eines Ganzen werden können und etwas schaffen können – wenn sie nur wollen.

Kommt das bei den Kindern an?

Die Kinder „zu knacken“ ist sicher nicht einfach, aber bis jetzt haben wir jeden erreicht. Auch die klassischen Typen, die am Anfang nur mit dem Hoodie und verschränkten Armen etwas abseits saßen.
Vor kurzem hatten wir ein Treffen, auf dem auch ehemalige Teilnehmer eingeladen wurden und wir haben sie gebeten, frei vor den neuen Teilnehmern zu sprechen. Sie haben erzählt, dass DEIN MÜNCHEN ihr Leben verändert hat und was sie draus gemacht haben. Das sind die Momente, die uns die Kraft geben, weiterzumachen. Einige Teilnehmer haben bei uns angefangen als sie auf der Hauptschule waren. Jetzt stehen sie kurz vor dem Abitur. Das hat die Teilnehmer wirklich beeindruckt und wir waren sehr stolz auf unsere Kids.

Warum glaubst du, ist es denn so wichtig, den Kindern zu helfen?
Ich würde die Frage gerne anders stellen: was würde denn aus diesen Kindern werden, wenn wir ihnen keine Alternativen aufzeigen? Arbeitslosigkeit? Kriminalität? Auf jeden Fall Perspektivenlosigkeit. Aber können sie denn aus dieser Perspektivenlosigkeit eine Stütze der Gesellschaft werden? Ich sehe auf der einen Seite natürlich, dass wir den einzelnen Kindern auf die Füße helfen müssen. Aber ich sehe unsere Aufgabe noch viel weitergefasst, denn es ist eine gesellschaftliche Frage. Können wir es uns als Gesellschaft wirklich leisten, diese Kinder so aufwachsen zu lassen? Wir brauchen sie, damit sie unsere Gesellschaft weiter voranbringen! Ich denke, wir als Gesellschaft stehen hier in der Verantwortung. Wir müssen diesen Kindern eine Chance geben, am am Leben wirklich teilzunehmen und in unserer Gesellschaft Fuß zu fassen.

Was ist denn für dich das wichtigste, was ihr den Kids mitgebt?
Wir müssen sie „einfach“ nur rausholen und ihnen neue Wege zeigen. Wir müssen ihnen mit Aufmerksamkeit begegnen und ihnen einen stabilen Anhaltspunkt in ihrem Leben bieten, auf den sie sich verlassen können. Und das wollen wir mit DEIN MÜNCHEN: wir bieten ihnen den Anker in ihrem Leben, damit sie daran wirklich teilhaben können. Damit könne sie ihren Zugang zur Gesellschaft finden, teilhaben und partizipieren.

Erzähl uns noch ein bisschen mehr über den Verein selber?
Der Verein wurde 2014 gegründet und seit dem setze ich mich mit meinem ganzen Engagement und meinem Herzblut dafür ein. Ich habe das beste Team, das ich mir wünschen könnte und wir haben unzählige ehrenamtliche Helfer, die das alles überhaupt möglich machen. Letztes Jahr haben ungefähr 1.000 Kinder an unseren Programmen teilgenommen.

Wir haben einen unfassbar tollen Partnerstamm, ohne den wirklich gar nichts ginge. Wir sind auf Spenden angewiesen und wir haben viele tolle Unternehmen und Privatpersonen, die uns großartig unterstützen. Ohne die, würde das ganze Projekt nicht gehen, denn wir bekommen immer mal wieder Teilförderungen oder Sachkosten für Einzelprojekte von der Stadt bezahlt. Aber die Grundsicherung des Vereins basiert auf den Spenden von großzügigen Menschen die die Notwendigkeit unserer Arbeit erkennen.

Und jetzt kommt natürlich wieder meine Lieblingsfrage: Stell dir vor, eine kleine Fee könnte dir einen Wunsch erfüllen. Was wäre dein Wunsch?
Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann wäre es mehr Wertschätzung für das Thema soziale Arbeit im Allgemeinen. Erzieherinnen, Krankenschwestern, Sozialpädagogen und so weiter leisten so viel für uns und sollten dafür nicht nur eine faire Entlohnung bekommen, sondern auch in der Gesellschaft die entsprechende Wertschätzung erfahren. Die meisten gehen bei sozialen Projekten immer davon aus, dass sie umsonst sind. Ich würde mir wünschen, dass wir nicht auf ehrenamtliche Helfer angewiesen wären, sondern dass wir ihnen auch eine faire Bezahlung dafür geben könnten.

Und ich würde mir sehnlichst wünschen, dass wir uns noch viel mehr auf unsere Arbeit mit den Kindern konzentrieren könnten. Im Moment arbeiten wir stark daran mehr Planungssicherheit für unseren Verein zu erreichen, das ist aber noch ein langer Weg der hier vor uns liegt. Jede Spende die regelmäßig kommt hilft uns! Wenn wir darüber hinaus auch eine solide Grundfinanzierung z.B. aus städtischen Mitteln für den Verein hätten, könnten wir so viel mehr bewegen.”

Liebe Mara, vielen Dank für dieses spannende Gespräch und für dein unglaubliches Engagement für die Kids.

 

Für mehr Informationen über DEIN MÜNCHEN oder gar spenden möchte, hier noch mal der Link zur Website: http://dein-muenchen.org/
Auf der Facebook-Seite werden auch immer wieder regelmäßig tolle Informationen gepostet: https://www.facebook.com/deinmuenchen/

Am 22.7. 2017 findet übrigens eine Veranstaltung am Pilsensee statt. 60 (!) ehrenamtliche (!!) Mitarbeiter werden die Teilnehmer von DEIN MÜNCHEN durch einen eigens konzipierten Sportparcour begleiten: mit SUP, Ringen, Slackline, Yoga u.v.m. Die Zuschauer können mitanfeuern und mitmachen.

Wenn ihr weitere Informationen über das Projekt sucht oder Fragen habt, checkt doch mal die Website http://dein-muenchen.org/ aus. Dort gibt es auch ein Kontaktformular, wenn ihr Ideen habt, wie ihr DEIN MÜNCHEN helfen könnt.
DEIN MÜNCHEN sucht immer weiter nach großzügigen Menschen, die sich für die Sache einsetzen möchten. Auf der Website könnt ihr unter „Spenden“ das Projekt unterstützen: http://dein-muenchen.org/spenden/

2 thoughts on “Dein München

  1. Pingback: Vegane Tattoos – Portraits of Munich

  2. Pingback: Familie – Portraits of Munich

Leave a Reply

Fill in your details below or click an icon to log in:

WordPress.com Logo

You are commenting using your WordPress.com account. Log Out /  Change )

Twitter picture

You are commenting using your Twitter account. Log Out /  Change )

Facebook photo

You are commenting using your Facebook account. Log Out /  Change )

Connecting to %s